Der spielende Mensch

Poststelle 4/10

Entschuldigen Sie: Hätten Sie Lust, einen riesengroßen Ball über eine Wiese zu schieben? Oder ihn zielgenau auf einen Plüsch-Pinguin zu schubsen?
Vermutlich nicht. Sie wirkt etwas kindisch auf den ersten Blick, diese Ballsache - und doch fanden sich am 18. Juli fast 100 größtenteils erwachsene Personen beim Jahrmarkttheater ein, um genau das zu tun: ein über zwei Meter hohes Spielgerät durch einen Parcours zu bugsieren und mit möglichst wenigen Versuchen auf ein Ziel zu schubsen. Menschen jeglichen Alters beteiligten sich an der Sport-Neuschöpfung namens „Gigantoball“.
Und sie hatten Spaß.

Spielen gehört zu den ältesten Phänomenen der Menschheit. Um genau zu sein, ist es sogar älter als die moderne Menschheit selbst. Denn noch vor dem Homo sapiens, von dem alle heute lebenden Menschen abstammen, existierte der Homo ludens. Der spielende Mensch.
Der Begriff des Homo ludens wurde Mitte des 20. Jahrhunderts von dem niederländischen Kulturhistoriker John Huizinga geprägt. In seinem gleichnamigen Buch definiert er das Spielen als elementaren Bestandteil menschlichen Handelns - und als erstes kulturstiftendes Gut überhaupt.
Demnach haben sich kulturelle Räume wie Politik, Wissenschaft, Recht oder Religion aus zunächst spielerischen Handlungen gebildet. Denn erst durch ein Bewusstsein für sich selbst erhält der Mensch seine Rolle im Ganzen, und dieses Bewusstsein saugt er aus dem Spiel. Erst so konnte er zum Sapiens werden, zum Wissenden.

Ich erinnere mich noch, wie stark mich diese Erkenntnis beeinflusst hat. Zu Beginn meines Sportstudium, Basismodul „Spielfähigkeit“. Dass der Mensch fähig ist zu spielen, und dass er dazu fähig sein muss, um erst Mensch zu sein, war für mich ein Paradigmenwechsel. Seither liegt das Spielen in meinem Kopf nicht mehr in der Schublade „Kinderkram“.
Trotzdem spielen wir (in privilegierten Ländern) vor allem bzw. am meisten in der Kindheit, und das macht Sinn. Sieben bis acht Stunden pro Tag sollten Kleinkinder spielen, empfehlen Experten. Durch Spielen lernen wir; wir lernen Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber vor allem lernen wir Identität. Was wir mögen oder nicht, wen wir mögen oder nicht, Was wir können oder nicht, wer wir sind oder nicht, all das erleben und verankern wir spielerisch. Trial and Error. Dass wir Menschen nach eigenem Maßstab die intelligentesten Wesen der Erde darstellen, hängt genau damit zusammen.

Auch Tiere spielen, aber keine Spezies spielt intensiver als die Menschheit. Es ist unser Entwicklungsmotor, die frühe, ungezwungene Triebfeder des Fortschritts. Dabei ist das Siel im Kern ein Verhalten ohne Zweck. Aber deshalb, so schreibt der Entwicklungspsychologe Prof. Rolf Oerter, ist es kein Verhalten ohne Sinn.
Wir lernen durch das Spiel, aber zu spielen müssen wir nicht lernen. Obwohl es im Kern ein Verhalten ohne unmittelbaren Zweck ist, wird es der Instinkttheorie zugeordnet. Es ist ein Trieb, der qua Geburt im Menschen verankert ist. Deshalb erkannte schon Friedrich Schiller treffend:
„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Über die gesamte Dauer des 'Zeltplatz der Zivilisation' verwaltet der überregional bekannte Journalist und Fotograf Philipp Awounou die wichtigsten Postdienste vor Ort. Alles was auf dem Zeltplatz passiert, geht über die Poststelle nach draußen. In persönlichen Briefen, griffigen Telegrammen, ganzen Zeitungsartikeln und mit Fotos begleitet, kommentiert und reflektiert Philipp Awounou das Geschehen. Dadurch bleiben wir nicht nur alle auf dem Laufenden, sondern sind zugleich eingeladen, die eigenen Erlebnisse oder Gedanken in neue Fächer zu sortieren.

Wer regelmäßig aus der Poststelle beliefert werden will, kann die Sendungen unter kontakt@jahrmarkttheater.de abonnieren.

Der spielende Mensch

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Entschuldigen Sie: Hätten Sie Lust, einen riesengroßen Ball über eine Wiese zu schieben? Oder ihn zielgenau auf einen Plüsch-Pinguin zu schubsen?
Vermutlich nicht. Sie wirkt etwas kindisch auf den ersten Blick, diese Ballsache - und doch fanden sich am 18. Juli fast 100 größtenteils erwachsene Personen beim Jahrmarkttheater ein, um genau das zu tun: ein über zwei Meter hohes Spielgerät durch einen Parcours zu bugsieren und mit möglichst wenigen Versuchen auf ein Ziel zu schubsen. Menschen jeglichen Alters beteiligten sich an der Sport-Neuschöpfung namens „Gigantoball“.
Und sie hatten Spaß.

Spielen gehört zu den ältesten Phänomenen der Menschheit. Um genau zu sein, ist es sogar älter als die moderne Menschheit selbst. Denn noch vor dem Homo sapiens, von dem alle heute lebenden Menschen abstammen, existierte der Homo ludens. Der spielende Mensch.
Der Begriff des Homo ludens wurde Mitte des 20. Jahrhunderts von dem niederländischen Kulturhistoriker John Huizinga geprägt. In seinem gleichnamigen Buch definiert er das Spielen als elementaren Bestandteil menschlichen Handelns - und als erstes kulturstiftendes Gut überhaupt.
Demnach haben sich kulturelle Räume wie Politik, Wissenschaft, Recht oder Religion aus zunächst spielerischen Handlungen gebildet. Denn erst durch ein Bewusstsein für sich selbst erhält der Mensch seine Rolle im Ganzen, und dieses Bewusstsein saugt er aus dem Spiel. Erst so konnte er zum Sapiens werden, zum Wissenden.

Ich erinnere mich noch, wie stark mich diese Erkenntnis beeinflusst hat. Zu Beginn meines Sportstudium, Basismodul „Spielfähigkeit“. Dass der Mensch fähig ist zu spielen, und dass er dazu fähig sein muss, um erst Mensch zu sein, war für mich ein Paradigmenwechsel. Seither liegt das Spielen in meinem Kopf nicht mehr in der Schublade „Kinderkram“.
Trotzdem spielen wir (in privilegierten Ländern) vor allem bzw. am meisten in der Kindheit, und das macht Sinn. Sieben bis acht Stunden pro Tag sollten Kleinkinder spielen, empfehlen Experten. Durch Spielen lernen wir; wir lernen Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber vor allem lernen wir Identität. Was wir mögen oder nicht, wen wir mögen oder nicht, Was wir können oder nicht, wer wir sind oder nicht, all das erleben und verankern wir spielerisch. Trial and Error. Dass wir Menschen nach eigenem Maßstab die intelligentesten Wesen der Erde darstellen, hängt genau damit zusammen.

Auch Tiere spielen, aber keine Spezies spielt intensiver als die Menschheit. Es ist unser Entwicklungsmotor, die frühe, ungezwungene Triebfeder des Fortschritts. Dabei ist das Siel im Kern ein Verhalten ohne Zweck. Aber deshalb, so schreibt der Entwicklungspsychologe Prof. Rolf Oerter, ist es kein Verhalten ohne Sinn.
Wir lernen durch das Spiel, aber zu spielen müssen wir nicht lernen. Obwohl es im Kern ein Verhalten ohne unmittelbaren Zweck ist, wird es der Instinkttheorie zugeordnet. Es ist ein Trieb, der qua Geburt im Menschen verankert ist. Deshalb erkannte schon Friedrich Schiller treffend:
„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Über die gesamte Dauer des 'Zeltplatz der Zivilisation' verwaltet der überregional bekannte Journalist und Fotograf Philipp Awounou die wichtigsten Postdienste vor Ort. Alles was auf dem Zeltplatz passiert, geht über die Poststelle nach draußen. In persönlichen Briefen, griffigen Telegrammen, ganzen Zeitungsartikeln und mit Fotos begleitet, kommentiert und reflektiert Philipp Awounou das Geschehen. Dadurch bleiben wir nicht nur alle auf dem Laufenden, sondern sind zugleich eingeladen, die eigenen Erlebnisse oder Gedanken in neue Fächer zu sortieren.

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